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Alexandra Fender-Rother
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Nepalesisches Kastensystem

Früher wusch Parvati ihre Teller mit Kuhurin aus, wenn ein Dalit aus einer niederen Kasten daraus gegessen hatte. Heute reicht ihr ein Gutach Wasser.

Hintergrund 

Das komplizierte nepalesische Kastensystem hat sich parallel zum indischen Kastensystem entwickelt und basiert auf hinduistischen Gesellschaftsordnungen. Grundsätzlich existieren in Nepal vier Hauptkasten. Die Brahmanen (Priesterkaste), die Chhetris (Kriegerkaste), die Rai, Gurung, Tamangs und Limbus (bilden zusammen die Arbeiterkaste) und die Dalits (Kaste der Unberührbaren). Daneben existieren auch unter den buddhistischen Volksgruppen der Newaren (Ureinwohner des Kathmandu Tals) und der Sherpa kastenähnliche Systeme. 1963 wurde Diskrimination aufgrund von Kastenzugehörigkeiten landesweit gesetzlich verboten. Vor allem in den ländlichen Gebieten Nepals hat die Kastenzugehörigkeit aber noch heute grossen Einfluss auf die Berufswahl, die Heirat und den sozialen Status eines Menschen. Obwohl die Kastenzugehörigkeit selbst noch nichts über den Wohlstand einer Person aussagt, ist es oft so, dass Angehörige der höheren Kasten (Brahmanen und Chhetris) tendenziell reich, Angehörige der unteren Kasten (Rai, Gurung, Dalits etc.) tendenziell arm sind. Dalits werden als Unberührbare noch immer in weiten Teilen des Landes sozial isoliert und wirtschaftlich benachteiligt. Übrigens: Westliche Touristen gehören als „Ungläubige“ eigentlich zu den Unberührbaren, werden wegen ihres Wohlstandes aber grundsätzlich so behandelt wie Angehörige der höheren Kasten – ausser bei bestimmten religiösen Zeremonien, denen sie als Unberührbare fernbleiben müssen.

Tipp

Die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützte in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte zur besseren Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Kasten. Im Dokumentarfilm „Everybody’s Blood is Red“ (http://www.youtube.com/watch?v=JA0C0x8q-_g) erzählen Brahmanen und Dalits aus dem Westen des Landes von ihrem Zusammenleben, ihren Ängsten und ihren Hoffnungen für die Zukunft.  

Von Kuhurin und unreinen Brunnen

Im kleinen Dorf Moyal im äussersten Nordwesten Nepals gibt es drei Brunnen. Parvati Bista holt sich hier täglich Wasser um zu kochen und zu waschen. Seit mehr als 30 Jahren trägt sie ihren Kupferkessel jeden Tag den steilen Hang von ihrem Lehmhaus hinunter zum grössten der drei Brunnen. An den anderen beiden Brunnen hatte Parvati bis vor Kurzem noch nie Wasser geholt, obwohl einer davon eigentlich näher bei ihrem Haus liegt. Doch, Parvati hatte lange Zeit keine Wahl. Die anderen beiden Brunnen waren für sie Tabu. Es waren Dalit-Brunnen: Brunnen, zu denen nur die Unberührbaren im Dorf gingen. Das Wasser dort ist unrein, gar gefährlich. Das hat man ihr schon als kleines Mädchen beigebracht.

Parvati wurde in eine hohe Kaste hineingeboren. Alle in ihrer Familie sind Bauern, wie jeder hier im Dorf. Parvatis Vater war wohlhabend. Er besass Land, hatte Vieh und Menschen, die für ihn arbeiteten. 
Auch ihr Mann, den ihr ihre Eltern ausgesucht haben, ist wohlhabend, hat Land, Vieh und Arbeiter. 
Manche dieser Arbeiter sind Dalits, Unberührbare. Parvati sprach lange nicht mit ihnen, genau wie all die anderen Angehörigen ihrer Kaste. 
Sie wusste: Dalits, das sind von den Göttern Verstossene. Das sind Unwürdige, vor denen man sich in Acht nehmen muss. „Uns wurde immer gesagt: Gib nie einem Dalit von der Milch deiner Büffel zu trinken. Wenn du es trotzdem tust, dann werden deine Büffel sterben“, erzählt Parvati. 

Doch die Dinge im kleinen Dorf Moyal haben sich geändert. Parvati hat sie geändert, gemeinsam mit ihrer Nachbarin Ramba Devi Bailkoti, einer Dalit. Parvati und Ramba grüssen sich seit neuem, tauschen sich über ihre Alltagssorgen und –Freuden aus, haben schon gemeinsam gekocht und gegessen. Sie nehmen beide an den „Eating Togethers“ teil, welche eine deutsche Hilfsorganisation hier im Dorf lanciert hat. „Die Dalits sind gar nicht anders als wir. Sie sind Menschen wie wir auch. Sie kochen und essen und waschen genau wie wir“, lacht Parvati und klopft Ramba sanft auf die Schultern. 

Noch vor kurzem hätte sie sich das nicht vorstellen können, mit einer Dalit vor ihrem Haus zu sitzen und Gemüse für ein gemeinsames Abendessen zu rüsten. 
„Früher sind uns die anderen Dorfbewohner immer ausgewichen“, erinnert sich Ramba. „Wenn wir auf der Strasse jemandem begegneten, dann wechselten die die Strassenseite und schauten weg.“ Ramba erzählt, dass ihr Mann als Knecht tageweise auf den Feldern der Landbesitzer in der Gegend arbeitet. „Wenn er zum Mittagessen Reis von seinen Arbeitgebern bekam, musste er danach seinen Teller mit Wasser waschen. Dann wuschen die Frauen der Arbeitgeber den Teller mit Kuhurin aus und stellten ihn fünf Tage lang an die Sonne. Erst dann galt der Teller wieder als rein.“

Ramba und Parvati schauen ernst, wenn sie über solche Sachen sprechen. Es ist noch nicht viel Zeit vergangen, seit sich die Dinge in Moyal geändert haben. Noch immer gibt es Dorfbewohner, die Mühe haben damit, dass die Dalits plötzlich ganz normale Menschen sein sollen. Noch immer gibt es Menschen, die die alten Dalit-Brunnen meiden. 
Parvati aber glaubt nicht mehr an die Mähr vom unreinen Wasser. „Ich bin mehr als 50 Jahre alt. Ich will nicht mehr jeden Tag den Hang hinunterklettern. Ich gehe jetzt zum nahen Brunnen, an dem früher nur die Dalits Wasser holen“, sagt sie zufrieden und zwinkert Ramba zu.

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